Ausstellung

Die gemeinsame Ausstellung „Aufarbeiten: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Zeichen von Emanzipation“ des Schwulen Museums und des Archivs der deutschen Jugendbewegung versteht sich als Projekt der selbstkritischen Auseinandersetzung mit problematischen Teilen ihrer Sammlungen. Die Ausstellung ist noch bis zum 26.02.2024 im Schwulen Museum Berlin zu sehen.

Das Schwule Museum (SMU) und das Archiv der deutschen Jugendbewegung (AdJb) sind zentrale Gedächtnisorte von emanzipatorischen Bewegungen, die teils gemeinsame, teils entgegengesetzte Wege einschlugen. Doch in beiden Archiven befinden sich Zeugnisse der Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in diskursiven Dokumenten und Artefakten.

Beide Institutionen haben sich einer konsequenten Aufarbeitung des verstörenden Tatbestands verschrieben, dass die Gemeinschaften, deren Erbe sie bewahren, sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Raum boten und ihrer Verharmlosung oder ideologischen Rechtfertigung zuarbeiteten. Die Ausstellung will einen Beitrag zur Auseinandersetzung damit leisten. Sie stellt zur Diskussion, wie es möglich war, dass Bewegungen, deren Kernanliegen die Selbstbestimmung von Menschen ist, so anfällig waren für die Rhetoriken der Täter*innen, so unsolidarisch mit den Betroffenen und beklemmend desinteressiert an deren Schicksal.

Als kulturhistorische Einrichtungen sehen es beide Institutionen als ihre besondere Aufgabe, die spezifischen und unterschiedlichen diskursiven Formationen zu rekonstruieren, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Kontext der homosexuellen und der jugendbewegten Emanzipationsbewegungen theoretisierten, ästhetisierten und damit legitimierten. Sie handeln damit ausdrücklich im Sinne der Forderungen von Betroffenen und ihren Verbänden, Aufarbeitung nicht auf die strafrechtliche Verfolgung von Täter*innen zu reduzieren, sondern gesellschaftliche Zusammenhänge in den Blick zu nehmen. Dies geschieht aus eigener Initiative im Interesse einer verantwortungsbewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

Das Projekt nutzt das Format einer Ausstellung, um damit eine breite Öffentlichkeit und die involvierten Communities zu erreichen. Weil es historische Forschung und kollektive Aushandlungen bisher erst in Ansätzen gibt, kann die Ausstellung kein gesichertes Resümee präsentieren. Vielmehr wird thesenhaft zugespitzt zur Diskussion gestellt, wie dieses verstörende Kapitel der eigenen Geschichte in Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung eingearbeitet werden kann.

Präsentiert werden Exponate aus den Beständen der beiden Archive. Es wird darauf verzichtet, die in der visuellen Kultur so einschlägig normalisierten und normalisierenden Darstellungen sexualisierter Körper von Kindern und Jugendlichen auszustellen. Im Zentrum der Ausstellung stehen vielmehr dokumentarisches Material und die Stimmen von Betroffenen von sexualisierter Gewalt.

Die Begleittexte sind auch auf Englisch präsentiert, zudem gibt es eine Einführung in Gebärdensprache; ein Audioguide für Sichteingeschränkte war angekündigt.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Dr. Birgit Bosold (Schwules Museum), Dr. Susanne Rappe-Weber (Archiv der deutschen Jugendbewegung, AdJb), Dr. Tino Heim & Dr. Volker Woltersdorff und gefördert vom Hauptstadtkulturfonds Berlin und der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Für den Besuch sind 1-2 Stunden empfehlenswert, je nachdem, ob man jeden ausgestellten Text durcharbeiten möchte. Besonders nachhaltig wirkten auf mich die Audio-Schilderungen von Betroffenen und die Video-Präsentationen zu der Fragestellung der Notwendigkeit von Aufarbeitung. Ich persönlich konnte über Betroffenheit hinaus daraus konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Spannend waren auch die Video-Statements verschiedener Akteure aus der Pfadfinder- und Jugendbewegung. So äußert sich Fredde vom BdP über erste Ergebnisse aus der Aufarbeitung des BdP und jene, welche den Axi-Nachlass für das Archiv der Jugendbewegung erschlossen hatte, berichtet von ihrer Arbeit.

Etwas bedauert habe ich persönlich, dass auf die existierenden Schnittmengen zwischen der Homosexuellenbewegung und der Jugendbewegung hinsichtlich Menschen-unter-Verdacht bzw. Täter:innen nicht noch dezidierter eingegangen wurde. So stehen die beiden Bewegungen eher nebeneinander als miteinander, sieht man von den Ausführungen zu Heinz Dörmer einmal ab. Es wird auch keine konkrete Vereinigung aus der Pfadfinder- und Jugendbewegung im Rahmen dieser Ausstellung bloß- und an den Pranger gestellt. Positiv ist, dass die Pfadfinder- und Jugendbewegung ab 2010 begann, aufzuwachen. Der sich ab da entwickelte veränderte Umgang mit Menschen-unter-Verdacht bzw. Täter:innen bzw. in Fragen des Kinder- und Jugendschutzes und hinsichtlich Aufarbeitung wird im Rahmen der Ausstellung durchaus gewürdigt.

Anfahrt und Öffnungszeiten: https://www.schwulesmuseum.de/besuch/


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Kommentare

2 Antworten zu „Ausstellung“

  1. Avatar von Jörg Schweikard-Leuz ( Feuchty )
    Jörg Schweikard-Leuz ( Feuchty )

    Berlin ist halt schon ein bischen weiter weg. Kommt die Ausstellung vieleicht auch in den Süden, am Besten in den Südwesten ?

    1. Avatar von almi (Redaktion; DPB)

      Es ist wohl angedacht, dass die Ludwigstein sie auch noch präsentieren wird; ich hatte allerdings den Eindruck, dass noch nicht abschließend geklärt ist, wann und wo das erfolgen können wird.

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