80. Todestag Willi Graf

Ein widerständiger Saarländer – Zum 80. Todestag Willi Grafs am 12. Oktober 1943

Seit dem Sommer 1942 tauchten in München und an anderen Orten in Süddeutschland Flugschriften auf, die sich gegen das NS-Regime und den von den Nazis angezettelten, verbrecherischen Krieg aussprachen und zum Widerstand aufriefen. Insbesondere traten die Verfasser für die Wiederherstellung der persönlichen Freiheit der Menschen und für die Wiederherstellung des Rechtsstaates ein. Jedem, der ein solches Flugblatt zu lesen bekam, musste klar sein, dass solche Ziele nur durch den Sturz des NS-Systems  zu erreichen waren. In den Augen der herrschenden Nazis war dies natürlich der Aufruf zum Hochverrat, ein für die Nazis todeswürdiges Verbrechen.

Urheber war die studentische Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, mit ihren Mitgliedern Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt Huber.

Diese Gruppe, und, bedingt durch die nachfolgenden Verhöre der Geheimen Staatspolizei, auch ihrer weiterer Unterstützerkreis wurde im Februar 1943 verhaftet. Möglicherweise trug die Stimmung, die sich nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad Ende Januar 1943 verbreitete, bei den Mitgliedern der Weißen Rose dazu bei, an eine Umsturzstimmung in Deutschland und ein  schnelles Kriegsende  zu glauben. Wie sich herausstellen sollte, ein tödlicher Irrtum. Beim Ausstreuen von Flugblättern im Lichthof der Münchener Universität wurden Hans und Sophie Scholl  am 18.Februar 1943 gesehen und festgenommen. Der Saarländer Willi Graf, wie Hans Scholl, Alexander Schmorell und Christl Probst Medizinstudent in München, wurde kurz nach der Verhaftung und zügigen Aburteilung der Geschwister Scholl und Christoph Probsts ebenfalls Opfer der NS- Justiz.

Geboren 1918 in Kuchenheim, Kreis Euskirchen, übersiedelte seine Familie 1922 nach Saarbrücken. Katholisch erzogen besuchte Willi Graf ab 1928 das Humanistische Ludwigsgymnasium in Saarbrücken. Ab 1929 war er Mitglied der Katholischen Jugendbewegung im Schülerbund „Neudeutschland“ und erlebte ab 1933 im zunächst noch französisch besetzten Saargebiet mit, wie das NS-Regime mit Verboten und Auflösungserlassen im Reich gegen bündische Gruppen vorging. Als ein signifikantes Beispiel sei nur das Vorgehen des NS-Regimes gegen den Nerother Wandervogel (NWV) genannt: Filmvorführungen Karl Oelbermanns, die der Finanzierung des Jugendburgprojektes Burg Waldeck dienten, wurden durch die Hitlerjugend gestört, am 18.Juni 1933 schließlich wurden Bauhütte und Burg von SA und Hitlerjugend gestürmt, die Nerother letztlich zur Selbstauflösung gezwungen. Mehr Informationen dazu findet ihr in dem Buch „Die letzten Wandervögel“, das in weiten Teilen von dem kürzlich verstorbenen dritten Bundesführer des Nerother Wandervogels, Fritz-Martin Schulz, verfasst worden ist. (Dt. Spurbuchverlag Baunach, 2. Auflage, 2002, immer noch erhältlich)

Im Jahr 1934 kam es auf einem Rheindampfer zu einem Ostertreffen von Führen der katholischen Jugendbewegung  und zum Zusammenschluss der Gruppen zum „Grauen Orden“. Nach der im Versailler Vertrag  für 1935 vorgesehenen Abstimmung über  die Rückgabe  des  bis dahin französisch besetzten Saargebietes   und dem „Anschluss“ des Saarlandes an das Deutsche Reich 1935 wurde den katholischen Jugendverbänden durch den preußischen Ministerpräsidenten am 23.Juli jegliche „bündische“ Betätigung (also insbesondere Fahrt und Lager) untersagt, nur kirchlich-religiöse Betätigung war noch erlaubt. Dass überhaupt noch katholische Jugendarbeit möglich war, ist dem sogenannten  „Reichskonkordat“ zu verdanken, also einem Staatsvertrag zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich. Dieser wurde am 20.Juli 1933   geschlossen und regelte das Verhältnis zwischen NS- Staat und katholischer Kirche in Deutschland.

Für die Jahre von 1935 bis zum Beginn seines Medizinstudiums 1937 ist belegt, dass Willi Graf an verschiedenen illegalen Lagern innerhalb Deutschlands sowie an Fahrten ins Ausland teilnahm, so unter anderem eine Sommerfahrt nach Italien und auf die Insel Sardinien, ebenso wie im Jahr 1936 auf den Balkan. Aufgrund rigoroser Devisenbestimmungen des Deutschen Reiches war es nicht erlaubt, größere Geldmengen mit ins Ausland zu nehmen, was die Finanzierung von Auslandsfahrten dementsprechend erschwerte. Hinzu kam, dass der NS-Staat jegliche nicht ideologiekonforme, unabhängige Betätigung in der Jugendarbeit natürlich auf das misstrauischste beobachtete. Wie es eben das Wesen eines totalitären Regimes ist, alle Lebensbereiche seiner Bürgerinnen und Bürger bis ins Kleinste hinein kontrollieren zu wollen, um den Preis der individuellen Freiheit seiner Bürger…  Folgerichtig gab es im Februar 1936 erneute Auflösungsverordnungen für bündische Jugendverbände und am 1.Dezember 1936 wurde die Hitlerjugend, unter Leitung Baldur von Schirachs, zur alleinigen Staatsjugend erklärt. Die Saarbrücker Neudeutschland-Gruppen wurden verboten.

1937 begann Willi Graf sein Medizinstudium in Bonn, wegen seiner der Gestapo mittlerweile bekannt gewordenen bündischen Betätigung saß er vom 22.Januar bis 5.Februar 1938 in einem Bonner Gefängnis. Grundlage der Anklage gegen ihn und 17 weitere Mitglieder des „Grauen Ordens“  vor dem Sondergericht Mannheim war ein Paragraph der 1933 nach dem Reichstagsbrand erlassenen „ Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ ( der sogenannten „Reichstagsbrandverordnung“). Darin heißt es: „ Wer den von den obersten Landesbehörden oder den ihnen nachgeordneten Behörden zur Durchführung dieser Verordnung erlassenen Anordnungen oder den von der Reichsregierung gemäß § 4 erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt […] wird, soweit nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit einer schwereren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis nicht unter einem Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu 15 000 Reichsmark bestraft.“

Die Gruppen des Bundes Neudeutschland waren wie alle anderen bündischen Gruppen verboten, der Paragraph des infamen Gesetzes, das übrigens bis zur Kapitulation Deutschlands am 8./9.Mai 1945 in Kraft blieb, also wirksam. Aufgrund einer Amnestie nach dem „Anschluss Österreichs“ wurde das Verfahren jedoch am 17.Mai 1938 eingestellt.

Nach dem Physikum in Bonn, dem Umzug nach München und diversen Praktika als Student und Krankenpfleger verbrachte Willi Graf die Jahre von 1940 bis 1942 immer wieder im Sanitätsdienst der Wehrmacht, unter anderem in Frankreich, Belgien, Serbien, Polen und Rußland. Im April wurde Graf zur 2.Studentenkompanie nach München beurlaubt, um sein Medizinstudium fortzusetzen.

Von Juni/Juli 1942 an bis zum 18. Februar 1943 wurden die fünf Flugblätter der „Weißen Rose“ verbreitet und sorgten für erhebliche Beunruhigung bei den Herrschenden. Nach einer viermonatigen „Feldfamulatur“ von Juli bis Anfang November 1942 in Rußland, in denen Willi Graf in Lazaretten erneut mit den Schrecken des Krieges konfrontiert war, fiel am 2.Dezember 1942 vermutlich der endgültige Entschluss Willi Grafs, sich der „Weißen Rose“ und ihren Aktivitäten anzuschliessen. Willi Grafs Tage verliefen zwischen Kasernendienst, Medizinstudium, Fechtstunden, dem Singen im Münchener Bach-Chor, Skifahren, Lektüre belletristischer, philosophischer und religiöser Schriften und den Treffen mit seinen Freunden aus der „Weißen Rose“. Wie er seine Zeit ab dem Sommer 1942 bis zur Verhaftung verbrachte, ist durch sein Tagebuch, das der Gestapo nicht in die Hände fiel, sehr gut dokumentiert. Ebenso interessant ist die Lektüre seiner Briefe an seine Familie und Freunde, die -in einer Auswahl- für die Zeit vom Mai 1940 bis hin zu seinem ergreifenden Abschiedsbrief an die Familie am Tag seiner Hinrichtung, dem 12.Oktober 1943, vorliegen.  Ab der Festnahme und Haft unterlagen diese Briefe natürlich strenger Zensur. Einen „Gnadenerweis“ lehnte Adolf Hitler persönlich ab. Dass Willi Graf nicht sofort nach dem Urteilsspruch hingerichtet wurde ist einzig der Tatsache zu verdanken, dass die Gestapo noch monatelang versuchte, Informationen aus ihm herauszubekommen, wer vielleicht noch zum Kreis der „Weißen Rose“ gehörte, der Gestapo aber noch nicht bekannt war. So zog sich Willi Grafs Leidensweg noch quälende sechs Monate hin, bis dem Volksgerichtshof in Berlin in einem Telegramm  am 12.Oktober 1943 lapidar mitteilte „ ZU 6J24/43 ANGELEGENHEIT HEUTE OHNE  ZWISCHENFALL ERLEDIGT“. Am gleichen Tag, laut Protokoll um 17.03 Uhr, wurde Willi Graf im Gefängnis München-Stadelheim mit der Guillotine enthauptet, seine Eltern erfuhren erst 1944 vom Verbleib des Leichnams. 1946 wurde Willi Graf am 4.November auf dem Alten Friedhof Sankt Johann in Saarbrücken beigesetzt. Aus der Einsicht heraus, einem Unrechtsstaat etwas entgegenzusetzen, wenn auch zunächst erfolglos, ist Willi Graf seinen Weg gegangen, bis zum bitteren Ende. Er wurde 25 Jahre alt.

Wie könnte man Willi Graf an seinem 80.Todestag gedenken? Zum Beispiel durch das Hören eines  Liedes  bei youtube: www.youtube.com/watch?v=Y92qXnH4gzk , das eine Zugfahrt Willi Grafs von München nach Saarbrücken mit einem Vervielfältigungsapparat beschreibt. (ursprünglich zu Willi Grafs 70.Todestag veröffentlicht).

[Dieser Text zu Willi Graf wurde verfasst von toklab (Hans Richter-Dunitza), Tübingen, 06.08.2023]

( Als Quellen wurden benutzt und sind als Lektüre empfehlenswert:

1. Will Graf. Briefe und Aufzeichnungen. Mit einer Eineitung von Walter Jens, Hg. Von Anneliese Knoop-Graf und Inge Jens, Fischer Verlag, 2.Auflage 2004). Hier finden sich eine ausführliche Chronologie sowie sehr ergiebige Anmerkungen zum Freundeskreis von Willi Graf, den Briefpartner, seinen Lektüren etc., 2. Die letzten Wandervögel. Geschichte einer Jugendbewegung, Hg. von Nerohm, d.i: Fritz-Martin Schulz u.a., Dt. Spurbuchverlag Baunach, 2.Auflage 2002)

Empfehlenswerte weiterführende  Literatur zur Weißen Rose und ihrem Umfeld: z.B. Robert M. Zoske, Sophie Scholl: Es reut  mich nichts. Porträt einer Widerständigen. Propyläen-Verlag, 2.Auflage 2021. / Robert M. Zoske, Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose. Eine Biografie. C.H. Beck, München. 1.Auflage 2018. Interessant an dieser Edition sind unter anderem die zuvor noch nie veröffentlichten Gedichte Hans Scholls. Auch wird sein durchaus  problematisches Verhältnis zur Sexualität innerhalb der Bündischen Jugend thematisiert.

Ferner: Hans Scholl und Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen, Herausgegeben von Inge Jens. Fischer Taschenbuch Verlag, 9.Auflage 2005.  Zum Verhältnis von Bündischer Jugend und Hitlerjugend beispielsweise: Matthias von Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930 bis 1939.Edition Archiv der Jugendbewegung, Band 3. Verlag Wissenschaft und Politik,1987  (nur noch antiquarisch). Außerdem:  Rüdiger Ahrens, Bündische Jugend. Eine neue Geschichte 1918 – 1933, Wallstein Verlag, 2020. )


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