Lunik IX ist kein Reiseziel. Denn die Neubausiedlung am Rande von Kosice, der zweitgrößten Stadt des Landes, ist das am dichtesten bewohnte Roma-Ghetto. Mehr als die Hälfte der Bewohner sind Kinder. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 90 Prozent, oft ist mangelnde Bildung die Ursache. Für die meisten Kinder ist aus dem Teufelskreis von schlechter Bildung und Kriminalität kein Entrinnen möglich. Doch es gibt Ansätze zur Hoffnung – und zwar durch die Pfadfinder. Es begann alles mit dem Buch „Buben vom Biberfluß“ von dem Pfadfinder und Autor Jaroslav Foglar. Der Gemeindeamtsleiter las es und kam auf die Idee, daß genau dieses Leben in der Natur den Roma-Kindern Spaß machen könnte. In Zusammenarbeit mit dem Chef der örtlichen Stadtpolizei, der selbst Rom ist, entstanden die ersten Gruppen von Roma-Pfadfindern, ein Projekt, das in Europa bisher einzigartig ist. Das Interesse war riesig, mehr als 500 Kinder wollten gleich mitmachen. Dafür reichten die ursprünglichen vier Leiter, die sich aus den am meisten respektiertesten Rom- Mitarbeitern der Polizei rekrutierten, natürlich nicht aus. Obwohl die Roma-Pfadfinder mittlerweile fester Bestandteil der slowakischen Pfadfinderorganisation sind und von dieser finanziert werden, bleiben sie autonom. Neben ihrer eigenen Identität, Lebensweise und Sprache spielt auch das unterschiedliche Temperament eine große Rolle. Eine der größten Aufgaben des Roma-Pfadfinderwesens ist täglicher Nachhilfeunterricht, denn 13 bis15 Prozent der Roma-Kinder schaffen schon die Grundschule nicht. In den übrigen Zeit machen sie Ausflüge in den nahen Wald – für manche Kinder die erste Gelegenheit, das Ghetto einmal zu verlassen. Der Jahresbeitrag liegt symbolisch bei einem Euro – und selbst dies ist für manche Familien kaum zu schaffen. Bei ihren Wochenendausflügen bestehen die Roma-Pfadfinder allerdings auf feste Unterkünfte. Zelte kommen für sie nicht in Frage, das erinnert zu sehr an Not und zu wenig an Vergnügen.
Quelle: scouting 01-08
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