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Nachruf auf Herbert „berry“ Westenburger ( 05.01.1920 – 08.08.2015)

Hier der Nachruf auf Berry von Eckard Holler:
„Mit dem Tod von „berry“, wie Herbert Westenburger genannt wurde, verliert die Bündische Jugend eine herausragende und öffentlich bekannte Persönlichkeit. Er war einer der letzten Vertreter des bündischen Jugendwiderstandes gegen den Nationalsozialismus und wurde für sein beispielhaftes Widerstandsverhalten während der NS-Diktatur 1992 mit der Johanna-Kirchner-Medaille und 2010 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Am Beispiel seines Bündischen Freundeskreises zeigte er bei unzähligen Lesungen, dass relevante Teile der Bündischen Jugend sich dem Nationalsozialismus verweigerten. Ihre Gruppen bestanden trotz des behördlichen Verbots als Freundeskreise weiter und besaßen aufgrund ihres spezifischen bündischen Stils die nötige Resistenz, um sich gegen den Verfolgungsdruck zu behaupten. Ohne es zunächst zu beabsichtigen, wurden sie zu Orten eines passiven Widerstandes, der den Totalitätsanspruch der HJ in Frage stellte.

Die Formen des Eigenlebens, an dem sich der Freundeskreis von berry orientierte, war zum einen vom Nerother Wandervogel, von dem berry 1932 im Alter von zwölf Jahren gekeilt worden war, und zum andern von der dj.1.11 entwickelt worden, zu deren Resten berry 1936 in Frankfurt Kontakt bekam. Von dem von tusk gegründeten Jungenbund „dj.1.11“ war berry derart fasziniert, dass für ihn Familie und Berufsausbildung an Bedeutung verloren und der Bau der „märchenhaften Welt der dj.1.11″ sein Lebensziel wurde. Das Risiko, entdeckt zu werden, wurde in jugendbewegter Unbekümmertheit als unbedeutend eingestuft. Das ging zwei Jahre gut. Berrys Gruppe wuchs schnell auf 20 Teilnehmer an. In der Gleimstraße richtete sie eine rotgraue Garnison nach tusks Berliner Vorbild ein, frönte einem Kosakenkult mit den Liedern des Chors von Serge Jaroff, trug selbstgeschneiderte Rubaschkas, Stiefel und Pelzmützen und trank den Tee aus einem russischen Samowar. Im Taunus bei Wüstems baute sie eine Hütte als Treffpunkt aus. Zur Absicherung des Fahrtenbetriebs wurde der „Bündische Selbstschutz“ als ein Netzwerk aus sicheren Übernachtungsmöglichkeiten bei Freunden, verschwiegenen Zeltplätzen und den zu ihnen führenden geheimen Pfaden aufgebaut. Die Gestapo, die das bündische Treiben bereits beobachtete, griff im Herbst 1938 zu, als berry im Begriff war, ein überregionales Treffen illegaler Gruppen zu organisieren. Das gesamte Umfeld der illegalen Gruppen wurde im September 1938 in einer breit angelegten Gestapo-Aktion verhaftet, berry kam erst wieder im April 1939 aus der U-Haft frei, wurde jedoch zur Wehrmacht entlassen und nach seinem Grundwehrdienst einer Wehrmachtseinheit in Nordafrika zugeteilt.

Berry hätte Konditor werden und die Konditorei „Jolasse“ in der Innenstadt von Frankfurt, die dem jüdischen Zweig der Familie gehörte, übernehmen sollen. Doch es kam anders. Während er in Nordafrika in Kriegsgefangenschaft kam, wurde die familieneigene Konditorei geschlossen und die Mutter, die Halbjüdin war, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Vom Schicksal seiner Mutter erfuhr er bruchstücksweise im Kriegsgefangenencamp in Algerien. Sein Gesuch, zu ihrer Unterstützung nach Deutschland entlassen zu werden, wurde abgelehnt, so dass er Genaueres über die Vorgänge, die zu ihrer Ermordung in Auschwitz führten, erst nach 1945 und nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft erfuhr.

Für berry war die Jugendbewegung nicht nur eine jugendliche Freizeitbetätigung, sondern der Mittelpunkt seines Lebens. Nach 1945 begann er sofort mit dem Neuaufbau der Jungenschaft in Hessen und übernahm die Landesleitung. Er gehörte zu den aktiven Teilnehmern des Maulbronner Kreises ehemaliger dj.1.11-Mitglieder und wurde Ehrenmitglied im Mindener Kreis.

Die zentrale Idee der Jugendbewegung war für berry die Idee der Freundschaft. Er war davon überzeugt, dass es in der Jugendbewegung vor allem darum ging, Freundschaften zu stiften, und sah es als seine Aufgabe an, die in der Jugend entstandenen Freundschaften auch im späteren Leben zu pflegen. Das Buch, das er im Alter von 88 Jahren schrieb, ist , genau genommen, eine einzige Ode an die Freundschaft. Während die politische Öffentlichkeit das Widerstandsmotiv hervorhob, ging es berry vor allem um die Bewahrung und Fortführung der in den Gruppen der Jugendbewegung entstandenen Freundschaftsbeziehungen. Dieses Motiv hat auch für die heutige Zeit Bedeutung, da echte Freundschaftsbeziehungen immer seltener werden.

Nicht zufällig wurde seine Lesung aus „Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel“ zu einer Sternstunde des Meißner-Lagers 2013. Denn hier hatte er ein jugendbewegtes Publikum, das über gleichartige Gemeinschaftserfahrungen und ähnliche Wertmaßstäbe verfügte. In Erinnerung blieb berry als ein weiser alter Mann, der einem jugendlichen Publikum in engagierter Weise den Wert der Freundschaft erklärte.“
(Eckard Holler)


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