Mit dem Motorrad zum Ganges

15 .März 1951 –  „Das Morgenland ist weit“: Vor 70 Jahren startete Oss Kröher mit dem Motorrad „vom Rhein zum Ganges“.
Wir lebten am Rande der Vagabondage – Fürsten in Lumpen und Loden. Mal waren wir gefeierte Artisten, dann wieder beinahe Bettler fern der Heimat. Länder, Ströme und Gebirge überquerten wir im Sattel, Grenzen öffneten sich eine nach der anderen. Manches schöne Mädchen lachte uns an, schwarzhaarig, bronzehäutig und rehäugig. Freunde gewannen wir, während Europa hinter uns versank und Asien begann.

Gustav konnte barfuß auf Glasscherben gehen, Feuer fressen und sich unter Wasser aus einem Sack befreien, worin er mit Handschellen gefesselt war. Ich sang meine Lieder, Songs und Chansons von der Unrast und der Liebe, der Heimat und fremden Welten zum Saitenspiel meiner Gitarre. Die Gagen waren anfangs mager, dann nahmen sie zu und wurden später fürstlich. Und jenseits der Morgenröte lockte das ferne Fahrtenziel: Calcutta.“

So beginnt Oss Kröher, der 2019, drei Jahre nach seinem Bruder Heinrich verstorbene Zwilling des Pirmasenser Gesangsduos „Hein und Oss“ , seinen großartigen Bericht über die „erste Motorradreise vom Rhein zum Ganges“. Aus der Retrospektive des gereiften, welterfahrenen Mannes stellte er sein Buch zu seiner Reise im Frühjahr 1997 fertig, dann schon fast 70 Jahre alt. Also 45 Jahre nach seiner Reise, auf der Grundlage seines Reisetagebuchs, Briefen und vermutlich auch aufgrund einer Artikelserie  von etwa 40  Artikeln,  die die heimische Zeitung  „Die Rheinpfalz“ schließlich  nach und nach abdruckte.

23-jährig brach er mit seinem Freund Gustav Pfirrmann, der von der London School of Economics nach Deutschland herübergekommen war am 15.März 1951 von seiner Heimatstadt Pirmasens Richtung  Asien auf. Schon bald zeigte sich, dass diejenigen Pirmasenser, die beim Aufbruch der beiden Freunde noch „ Das schaffen die nie , nächste Woche sind die wieder zurück“ raunten, eines Besseren belehrt werden sollten.

Als Reisegefährt diente ihnen ein bis oben hin vollgepacktes, 24 Jahre altes und 12 PS starkes NSU- Motorrad mit Beiwagen. Trotz vieler Pannen sollte sie die „Cora“, wie die beiden das Motorrad getauft hatten, schließlich sicher bis nach Indien tragen. Die Reise führte Oss und Gustav über den Brennerpass nach Italien, über Rom, Brindisi, Athen, Istanbul, Ankara, Damaskus, Baghdad, Hamadan  und Teheran im Iran. Von dort dann über Herat in die Hauptstadt Afghanistans, Kabul und schließlich über den Khyber-Pass hinunter nach Indien.  Über Lahore, New Delhi und Varanasi ging es weiter. Am 5.März 1952 trafen die beiden wohlbehalten in Kalkutta ein.

Mit Gesangs- und Magieauftritten zunächst in Gaststätten, später Clubs, Hotels und Casinos finanzierten die beiden ihre Reise. Eine frühe Art von kreativem „ Travel and Work“ also. Geschlafen wurde im Zelt, auf Feldbetten und dann auch zunehmend als Gast bei den Menschen, denen sie begegneten. Sicher war das manchmal ein Wagnis – Oss und Gustav mussten immer wieder Vertrauen haben: in sich selbst, in ihr schon recht altes Motorrad, in das Wohlwollen der Menschen, denen sie begegneten und auf deren Hilfsbereitschaft sie mehr als einmal angewiesen waren. An der Grenze zum Irak beispielsweise sah es für kurze Zeit so aus, als würde die Reise dort ein jähes Ende finden, weil der dortige Grenzbeamte bockig war und die -schon genehmigte, mehrtägige Durchreise durch den Irak  –  zunächst verweigerte. Es wurde dann dennoch alles gut. Auch das heute so unfriedliche, gefährliche Afghanistan konnten sie durchqueren. Zum Schluss, in Indien,  hatte sich die Reise der beiden Deutschen so herumgesprochen, dass der indische Staatspräsident Pandit Nehru ihnen in New Delhi einen Empfang gab. Zurück nach Deutschland ging es von Kalkutta (Kolkata) für Oss wiederum mit „Work and Travel“- als Tierpfleger hatte er sechs Elefanten und zwei Leoparden auf einem deutschen Frachter zu betreuen.

Mehr als einmal belegt Oss Kröhers Reisebericht übrigens, wie kraftvoll die Musik zur Verbindung sich noch vor kurzer Zeit völlig fremder Menschen beitragen kann. So, wie unser Singen und Musizieren in unseren Bünden Gemeinschaft schafft, sei es unter Gleichgesinnten am Jurtenfeuer oder bei der Straßenmusik für einen guten Zweck, öffneten sich für Oss und Gustav mit ihrer Musik und Magie Herzen, Geldbeutel und mitunter auch Türen für eine Übernachtungsmöglichkeit und eine Dusche, um den Straßenstaub endlich einmal wieder abzuwaschen.

Ein Blick auf die Reiseroute von Oss Kröher zeigt, dass eine solche Fahrt aufgrund der instabilen Lage mancher Länder, der Terrorsituation und den teilweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Region heute vermutlich leider lange nicht mehr möglich sein wird.  Vielleicht sogar niemals mehr.

Das Buch  „Das Morgenland ist weit“ (erstmals erschienen 1997 im Gollenstein-Verlag /Blieskastel, später auch  bei National Geographic als Taschenbuch ) liest sich aufgrund des lebendigen Schreibstils von Oss Kröher wunderbar leicht.  Der Autor findet die richtige Mischung zwischen persönlichem Erlebnisbericht und informativer Reisereportage. Seine Neugierde auf die Ecken dieser Welt, die ihm durch Naziregime und Krieg bislang verschlossen waren, die Weltoffenheit des Jugendbewegten, der nach dem Krieg mit seinen Fahrtenbrüdern auf die Burg Waldeck zog und später dann, zusammen mit seinem Bruder Hein die Waldeck-Festivals mitbegründete, blitzt an vielen Stellen des Buches auf. Immer wieder streut Oss Kröher in seine Reiserzählung auch passende Zeilen aus seinem immensen Liederschatz ein.   Als Leser freut man sich, einen jungen Mann, der die Enge und Borniertheit des Naziregimes zuletzt als Marinesoldat erleiden musste, bei seiner ersten großen Reise aus dem Muff des Nachkriegs-Westdeutschland in die weite Welt begleiten zu können.

Gerade jetzt, wo trotz beginnender Impfungen noch immer keine Fahrten oder anderen Reisen  möglich sind, ist das Buch mit seinen knapp 580 Seiten eine gewinnbringende und unterhaltsame Lektüre.  Wer es antiquarisch angeboten bekommt oder als Hörbuch- von Oss Kröher selbst gelesen,  dem sei es empfohlen!

(Autor: toklab[Hans Richter-Dunitza, BdP- Aufbaugruppe Dragan,  Tübingen]) Die Redaktion dankt für die Zusendung!

 

Vorstellung der CD-Gesamtausgabe von Hein&Oss

Dritter Teil der Biographie von Oss Kröher

Oss Kröher: Vom Lagerfeuer ins Rampenlicht

 


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Kommentare

Eine Antwort zu „Mit dem Motorrad zum Ganges“

  1. Avatar von Artur E.D. Broch
    Artur E.D. Broch

    Vor Jahren habe ich dieses umfangreiche Reiseabenteuerbuch gelesen und mich an eigene Orientreisen in den Jahren 1966, 1971 und 1973 erinnert. Hein und Oss waren die Stars auf den bündischen Treffen, besonders auf der Waldeck. Wir Nachkriegsjugendlichen hörten im Schulfunk von Heinz Helfgen, der um die Welt radelte, seine Bücher haben wir verschlungen. Um unsere Großfahrten nach Italien, Korsika, zum Nordkap oder nach Griechenland wurden wir in der Schule beneidet… danke für den Hinweis auf dieses Buch (Ernesto, früher DPB)

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