Missbrauchstäter auch unter anerkannten bündischen Persönlichkeiten

Als „der alte Luchs“ Horst S. im Jahre 2006 im Alter von 77 Jahren verstarb, schilderten die Nachrufe seine „charismatische Persönlichkeit“, seinen „unermüdlichen Einsatz“, seine „Gestaltungsfähigkeit“ und seine „pädagogische Überzeugungsfähigkeit“. Sein bündischer Lebenslauf ließ sich sehen. Er gehörte zu den Wiederbelebern der Bünde nach dem zweiten Weltkrieg,baute in seiner Heimatstadt Kassel bereits 1948 zunächst eine Sippe im Stamm Großer Jäger auf, aus welchem 1949 der Gau Großer Jäger im Bund Deutscher Pfadfinder wurde und er der Stammesführer des Stammes Luchs. 1952 wurde er Redakteur der „Sternschnuppe“, der späteren Bundeszeitschrift der Großen Jäger, 1955 dann auch

Das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Kassel war ein Wirkungsfeld von Horst S.
Das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Kassel war ein Wirkungsfeld von Horst S.

Gauführer der Großen Jäger. Er nahm Jungen aus der DDR illegal mit auf Großfahrt, setzte sich für Freizeiten von Berliner Jugendlichen ein und als um 1958 der Pfadfinderbund Großer Jäger entstand, geschah dies unter seiner Führung. Im gleichen Jahr wurde er Gymnasiallehrer am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Kassel. Er organisierte maßgeblich das Treffen auf dem Hohen Meissner 1963, errichtete ab 1965 gegen den Widerstand einiger Stämme ein vom hessischen Kultusministerium gefördertes Pfadfinderinternat in Hofgeismar, dessen Leitung er unentgeltlich übernahm. Er war Mitinitiator des Ringes junger Bünde 1966.  Nachdem er 1969 zunächst die Bundesführung und die Redaktion der „Sternschnuppe“ aufgeben musste und schließlich 1970 aus dem Pfadfinderbund Großer Jäger ausgeschlossen wurde und die Schließung des Internates Hofgeismar beschlossen wurde, wechselte der Stamm Luchse mit ihm von dem Bund „Großen Jäger“ in den Deutschen Pfadfinderbund. Zugleich übernahm Horst S. die Redaktion von dessen Bundeszeitung „neue fährte“. Kurz darauf, im Sommer 1971, entstand in Kassel die erste Mädchengruppe der Luchse, die in den Mädchenbund des DPB integriert wurde. 1972 zog er nach Barcelona um, wo er eine Lehrerstelle an der Deutschen Schule angenommen hatte. Noch im gleichen Jahr wurde dort die erste spanische Sippe der Luchse gegründet, im folgenden Jahr folgte die erste Mädchensippe in Spanien. 1988 entschieden sich die Luchse, den DPB zu verlassen und gründeten die eigenständige deutsch-spanische Pfadfinderschaft Luchs. Nach seiner Rückkehr unterrichtete Horst S. bis 1991 erneut am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Kassel. Erst im Jahr 2002 musste Horst S., der die Luchse seit ihrer Gründung 54 Jahre lang geprägt hatte, aus gesundheitlichen Gründen die aktive Pfadfinderarbeit aufgeben. Es schlug wie eine Bombe ein, als sich vor einigen Wochen ein ehemaliger Schüler des Pfadfinderinternates Hofgeismar bei der Kasseler Lokalpresse meldete und vom Missbrauch durch Horst S. Mitte der 60er Jahre berichtete. Weitere Mitschüler seien betroffen gewesen, in einem Fall sogar eine Strafanzeige erfolgt. Die Ermittlungen seien jedoch wegen schwieriger Beweislage eingestellt worden. Vermutet wird jedoch, dass eine indirekte Folge der Ermittlungen der berufliche Wechsel von Horst S. nach Spanien war. Unerklärlich jedoch, wieso er nach Rückkehr wieder an seiner alten Schule unterrichten durfte. In Folge des Artikels meldeten sich weitere Betroffene zu Wort, darunter auch Schüler des Gymnasiums in Kassel, an welchem Horst S. unterrichtet hatte. Der Pfadfinderbund „Großer Jäger“ setzte sich offen mit den Vorwürfen auseinander und schilderte gegenüber der Presse, der Ausschluss von Horst S. aus ihrem Bund 1970 sei nicht grundlos geschehen. Das Thema sexueller Missbrauch werde auch bei den Pfadfindern in letzter Zeit intensiv diskutiert, es gebe es zu dem Thema auf Bundesebene Schulungen und es werde auch bei der Ausbildung des Pfadfindernachwuchses besprochen. Durch einen eigens einberufenen Elternabend wurden die Angehörigen des Bundes über das damalige Geschehen informiert. Bislang gibt es keine Mitgliederverluste. Auch die Pfadfinderschaft Luchs distanzierte sich von ihrem Gründer. Auf deren Homepage heißt es: „Bis vor Kurzem waren auf dieser Seite zwei Texte zu lesen, die sich mit den Verdiensten des Gründers und langjährigen Führers der Pfadfinderschaft Luchs, Horst S., befassten. Die kürzlich durch die Presse bekannt gewordenen Anschuldigungen der Pädophilie gegen S. haben uns veranlasst, unser Verhältnis zum Gründer unserer Pfadfinderschaft zu überdenken. Das hat zu erheblichen Zweifeln an der persönlichen und pädagogischen Integrität des Horst S. geführt, so dass wir uns von der Person, vor allem von seinen Verhaltensweisen distanziert haben … Was nun durch die besagten Äußerungen ans Licht kommt, war uns bisher nicht bekannt, und wir sind selbst in einem erheblichen Maß erschüttert. Zugleich bedauern wir zutiefst, was den Opfern hinter der Fassade und im Namen der Pfadfinder von S. angetan wurde.“ Die Bundesführung der Luchse ruft nachdrücklich ihre (ehemaligen) Mitglieder auf, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, falls sie missbraucht worden sein sollten. Aus seiner Zeit als Bundesführer der Luchse, wie auch aus seiner Zeit im BDP und DPB oder auch an der Deutschen Schule in Barcelona ist jedoch noch kein Missbrauchsfall bekannt geworden. Die betroffene Albert-Schweitzer-Schule in Kassel versucht hingegen noch zu klären, wie es zur Rückkehr von Horst S. nach seiner Zeit in Spanien kommen konnte. So hinterlässt die gemeinsame Erklärung der Schule zwar einen bemühten, aber etwas unbefriedigenden Eindruck „Wir fühlen mit den Opfern und betonen, dass es keine Entschuldigung für Missbrauch oder für körperliche Züchtigungen gibt….wir betonen, dass die heutige Schulgemeinschaft (…) nicht verantwortlich ist für die beschriebenen Taten und dass wir uns ganz ausdrücklich davon abgrenzen. Die jetzt bekannt gewordenen Vorfälle vor mehreren Jahrzehnten machen uns sehr betroffen. Es ist auch für uns unfassbar, was von Lehrern der Albert-Schweitzer-Schule begangen wurde. Deshalb bleibt uns nur, mit den Opfern zu fühlen und mitzuleiden. Ihnen unser tiefes Mitgefühl auszusprechen, ist uns Verpflichtung und Bedürfnis. (…)“ Die Hintergründe des Versagens der damaligen Bürokratie zu klären (sollte er tatsächlich wegen des Strafverfahrens nach Spanien gewechselt sein, wieso konnte er dann später an seine alte Schule zurückkehren?) , wird jedoch schwierig, denn  bei Polizei und Staatsanwaltschaft werden Akten nach 30 Jahren vernichtet und das Staatliche Schulamt konnte die Personalakte von Horst S. zwar mittlerweile auffinden, darin aber keinerlei Hinweise auf die geäußerten Vorwürfe.

Quelle: scouting 02-10

 

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