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Liedgut und dessen Historie

Folgt man oberflächig der Berichterstattung, hat Heino (von dessen Unsensibilität „man“ ja schon vorher wusste) der NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach eine fast antike Heino-Langspielplatte mit SS-Liedern geschenkt, aber nein, so war das natürlich nicht. Es geht vorrangig um ein ganz bestimmtes Lied auf der Platte. Titel: „Wenn alle untreu werden“. Das Lied ist zwar schon 1814 verfasst worden (da lebte Hitler noch nicht), aber in einem SS-Liederbuch befand es sich an prominenter Stelle, irgendwo zwischen Horst-Wessel und dem Deutschlandlied. Ja, das Deutschlandlied. Aber das ist natürlich eine andere Baustelle, solange es nicht Heino mit allen Strophen singt.

Auf der Heino-LP befinden sich demnach noch weitere umstrittene Lieder wie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ oder „Flamme empor“. Verboten seien diese nicht, selbst Experten wüssten nicht genau, wie mit diesem Liedgut umgegangen werden soll. Schließlich hätten die Nationalsozialisten viele Volkslieder für sich vereinnahmt, so der Soziologe Gerhard Bosch gegenüber dem WDR.“ – soweit der Focus. Fangen wir mal ganz vorne an: Wer 1981 (Erscheinungsdatum der diskutierten Langspielplatte) wissen wollte, ob ein bestimmtes Lied schon während des Nationalsozialismus von fragwürdigen Kreisen gesungen wurde, brauchte ja als allererstes zumindest Zugriff auf die verbreitesten nationalsozialistischen Liederbücher. Denn wie sonst könnte er es herausfinden? Und erst dann wäre es ja möglich gewesen, den Vergleich zu führen. Nein, die hatte „man“ eben nicht automatisch daheim liegen – auch nicht als Heino.

Ist das geklärt, steht immer noch die Frage im Raum, ob das besagte Lied vom Text her, von der Melodie her oder wegen des Texters oder Melodieverfassers in besonderem Maße in Frage zu stellen ist. Auf diese Analyseebene hatten sich viele aktuelle Zeitungsberichte schon gar nicht mehr herabgelassen. Der Umstand als solches, in einem Liederbuch des Nationalsozialismus zu finden zu sein, reicht nämlich keinesfalls aus, da standen nämlich zahlreiche unbedenkliche Lieder ebenfalls drin. Also Entwarnung? Nicht gänzlich. Den Text von „Wenn alle untreu werden“ muss man nämlich mögen, jedenfalls in der Textvariante von Schenkendorf (die noch ältere von Novalis hingegen ist schlicht romantisch). Es kommen gleich alle Text-Feindbilder auf einmal darin vor: Treue, Deutsche Eichen, Sieg, Deutsches Reich.  Nun ja. Der Titel der Schallplatte hieß: Die schönsten Deutschen Heimat – und Vaterlandslieder. Da wundert der Text wenig. Schöner wird er dadurch natürlich nicht.

Und in welchen weiteren Liederbüchern findet sich das Lied in dieser Textvariante? Gemäß der politisch fragwürdigen Seite Deutsches-Lied in folgenden:
das alemannen-liederbuch, 1928 A579
im gleichen schritt – liederbuch der CDU-jugend A194b
aus des volkes seele – lieder der singgemeinschaften am deutschen volkslied, band 6 – nachlese, 1951 A833-6
unser lied – das deutsche pfadfinderliederbuch W287
einst und jetzt im deutschen lied SV284
nationalsozialistisches frauenschafts-liederbuch – nationalsozialistischer liederschatz, band 11 SV399-11
nationalsozialistisches volksliederbuch, 1932 SV316
liederbuch der studenten, 1941 SV75
sing mit kamerad – liederbuch der deutschen in polen, 1936 SV323
der helle klang – 1. band (für die klassen 1-3), 1942 A695-1
arbeitsdienst liederbuch – deutscher arbeitsdienst für volk und heimat SV237
liederbuch des großdeutschen orden A966 (allerdings veränderter Text bei 2+3 Strophe)
deutschland über alles – lieder der nationalen erhebung, 1933 SV445
für freiheit und vaterland, band 2 SV136-2

Nein, Ina Scharrenbach ist natürlich nicht auf die Idee gekommen, dass das Lied fraglich sein könnte. Vielleicht kannte sie es sogar aus dem CDU-Liederbuch.

Viele Pfadfinder setzen sich zunehmend kritisch mit ihrem Liedgut auseinander. Es ist aber auch eine Frage des Zeitgeschmacks und der Generation, welcher man angehört. Die Sensibilität nimmt dabei erfahrungsgemäß von Jahrgang zu Jahrgang eher zu.

Bildnachweis: Thilo Hauschild, Archivbild.

 

 

 


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Kommentare

6 Antworten zu „Liedgut und dessen Historie“

  1. Avatar von Cornelia Pe
    Cornelia Pe

    Hallo, liebe Pfadfinder,
    Ich bin hier vorbeigekommen auf der Suche nach „Flamme empor“ – nicht als Nazi, sondern als passionierter Osterfeuerbauer :-D. Ich bin übrigens Jahrgang 1968. Das die Nazis das Lied gesungen haben, war mir klar, ich hatte es eher der Wandervogelbewegung der 1920er zugerechnet (und die waren keine Nazis, aber das, was sie so erfolgreich machte, wurde dann von den Nazis für ihre Zwecke umgemünzt, ein eigenes Thema, aber wem schreibe ich das…) – das Lied wurde aber offenbar viel früher und für das Rheinland geschrieben, da kann man sich den Text natürlich erklären…
    Was mich aber hier schreiben lässt ist der Satz, man habe 1981 ja keine Nazi-Liederbücher rumliegen gehabt… Erstens: doooooooch, die waren durchaus noch da, und man hatte Eltern und Großeltern, die die Zeit selbst miterlebt hatten und denen das Gestampfe und der Gruppenzwang noch recht gegenwärtig war. Zweitens: Heino gehörte zum Beispiel zu den eisernen Vertretern, die auch dann noch durch Südafrika tourten, als das sonst keiner mehr tat. Bitte nicht zu voreilig in den „Man hat es ja nicht gewusst“-Modus verfallen, das ist eher eine Frage, ob man wissen wollte oder lieber trotzig an alten Mustern festhielt. Als fröhlicher Teenager der Achziger wundere ich mich heute in der Rückschau, wie vermufft, engstirnig, rassistisch, chauvinistisch,… (ich breche das hier mal ab) die Zeit teilweise war. Merkt man, immerhin, erst, weil heute doch vieles anders und besser(!!!) ist, dies schreiben Sie ja auch. Heinos Version von „Junge“ find ich übrigens großartig, das führt die Ironie dahinter nochmal auf eine weitere Ebene. Was jetzt die Heimat angeht: es lohnt sich, sich mit den Liedern auseinanderzusetzen, sie sind immer Spiegel ihrer Zeit. Meine Kinder haben kein Konzept von Ländergrenzen, das ist
    herrlich und zugleich gefährlich, weil der Frieden, den wir in Europa haben,
    über Generationen nicht selbstverständlich war, stattdessen wähnte man sich
    von Erbfeinden und Untermenschen umzingelt. Gerade die Pfadfinder stehen
    doch auch für ein anderes Weltbild. Die Heimat darf man lieben und besingen, aber Vorsicht, wenn in diesem Rahmen andere herabgewürdigt, bedroht,
    verachtet werden. Wie heißt es so schön: Man muß das Licht des anderen
    nicht auspusten, um das eigene leuchten zu lassen. Das ist wesentlich mehr als eine Frage des Geschmacks. In diesem Sinne: fröhliche Ostern!

    1. Avatar von Martin Lillich
      Martin Lillich

      Danke für diesen Komnentar! ich befasse mich regelmäßig mit deutschen Liedern und Texten. Musikalisch setze ich das mit dem Duo „Die LingoBarden“ um. Sprachen sind Lebensräume, es gilt sie pfleglich zu behandeln.

  2. Avatar von Behrens
    Behrens

    Ich war in den 60er Jahren bei den christlichen Mädchen-Pfadfindern.Eben habe ich beim Aufräumen mein altes, selbstgeschriebenes Liederbuch gefunden und war entsetzt über die blutrünstigen,kriegsverherrlichenden Texte und krassen Kirchenlieder.Als Kind (von 8 bis 12Jahren war ich dabei) ist mir nichts aufgefallen. Kirchlich war ich eigentlich von Haus aus nicht aber da die Kirche auch den weniger gut situierten Kindern die Teilhabe an grossen Fahrten ermöglichte, war es für mich ok.dann auch, sozusagen als Dank, deren Sachen mitzumachen. Ich habe mich damals auch nie gefragt, warum wir uns als Mädchen mit kämpfenden Burschen, Seeleuten und nordischen Kriegshelden identifizieren sollten.?? Zum Glück haben sich die Zeiten geändert und die Kinder sind heute hoffentlich kritischer….

    1. Avatar von almi (Redaktion; DPB)

      In den 60er Jahren als Mädchen „Männerlieder“ zu singen war definitiv innovativ und Ausdruck von Emanzipation. Ich würde auch heute noch sagen: Warum sollten denn Mädchen (nur weil sie Mädchen sind) keine Lieder von kämpfenden Burschen oder nordischen Seeleuten singen? Ich glaub, ich wäre allein mit expliziten „Mädchenliedern“ (=Liebesliedern) nicht glücklich geworden. Man kann ja nicht den ganzen Tag „Es saß ein klein Wildvögelein“ singen. Dass „Kinder“ heutzutage „kritischer“ sind, bezweifel ich. Je rauer ein Lied daherkommt, desto höher die Begeisterung. Es liegt m.E. eher in der Verantwortung der Gruppenführer, sich mit Texten und Hintergründen von Liedern auseinanderzusetzen und mit den Gitarrenspielern und übrigen Älteren einen Konsenz zu finden, welche Liedern nicht im Repertoire vorhanden sein sollten.

  3. Avatar von Barbara
    Barbara

    Hallo, ich bin hier gelandet weil auf einem Kanal „Flamme empor“ gepostet wurde. Ich wollte tatsächlich wissen, ob das NS-Liedgut ist. Es klingt mir zu blutrünstig und martialisch. ABER: ich bin 51 geboren und war 1962 in der 5. Klasse. Wir mussten solche Lieder in der Schule singen, die ich heute als „Soldatenlieder“ klassifizieren würde. Ich fürchte, wir hatten auch ein minikleines Büchlein mit diesem Titel..

  4. Avatar von Dieter Strathe

    Es gibt viele Lieder, die auch im „Liederbuch der Nationalsozialistischen Lehrerschaft“ gelandet sind. Zum Beispiel „Wann wir schreiten Seit an Seit“ welches bis vor wenigen Jahren noch am Schluss der SPD Parteitage gesungen wurde. (Oder noch wird?) Soll man diese Lieder deswegen verteufeln?

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