Wie der Spiegel bereits Ende Dezember berichtete, gehen die Girl Scouts of America juristisch gegen die Boy Scouts of America vor. Hintergrund ist, dass die Mädchenorganisation Markenrechtsverletzungen darin sieht, dass die Boy Scouts seit zwei Jahren auch Mädchen aufnehmen. Da würde man sich wohl eigentlich Fragen, was diese Aktion denn bitte soll und wieso die sich nicht einfach, statt sich um das Vorrecht, Mädchen in ihren Gruppen aufnehmen zu dürfen, zu streiten, fusionieren. Ganz zu schweigen von dem Grundprinzip, dass ein/e Pfadfinder/in ein/e Bruder/Schwester aller Pfadfinder/innen sein sollte.
Nun gibt es aber durchaus auch in anderen Familien Geschwisterstreitigkeiten, die vor Gericht enden. Hier verhält es sich so, dass die Girl Scouts WAGGGS zugehörig sind und die Boy Scouts WOSM. Was hierzulande in ein fröhliches Mischmasch und (aus meiner Sicht) zu Gunsten WOSM übergegangen ist (auch wenn die Mädchen koedukativer Bünde formal WAGGGS zugehörig sind, nehmen sie eher an den Aktivitäten von WOSM (z.B. Jamborees) teil und orientieren sich auch inhaltlich eher an WOSM), ist in Amerika noch sauber getrennt. WAGGGS, der Weltverbund der Pfadfinderinnen, unterscheidet sich in seiner Zielsetzung und Arbeitsweise deutlich von WOSM. So ist auch die Arbeitsweise der Girl Scouts in Amerika eine völlig andere (Keksverkauf etc.) als jene der dortigen Boy Scouts. Hinzu kommt, dass die Boy Scouts Probleme haben, welche sie in eine existenzbedrohende Finanzlage gebracht haben.
Während die Girl Scouts sich schon sehr viel früher für die Akzeptanz und Bejahung von Homosexuellen entschieden, taten sich die Boy Scouts of America (BSA) damit jahrzehntelang sehr schwer. In Folge sprangen den BSA zahlreiche Großunternehmen als Sponsor ab. Als sich die BSA schließlich dafür entschieden, dass Homosexuelle nicht nur einfache Mitglieder bleiben dürfen (erster Schritt), sondern auch Gruppenführer werden/bleiben dürfen (zweiter Schritt), gingen ihr ab Mai 2017 wiederum zahlreiche Mitgliedsgruppen mit insgesamt 330.000 Mitgliedern verloren, die religiösen Kirchen zugehörig waren, welche Homosexualität strikt ablehnen, insbesondere die Mormonen.
Sponsoren- und Mitgliederschwund hätten durch die BSA mit einen rigiden Sparkurs und dem Verkauf von Immobilienvermögen sowie Abbau von Personal abgefedert werden müssen. Dies erfolgte aber nicht in ausreichendem Maße – die Girl Scouts bezeichneten dies als Missmanagement und „Leben über den Verhältnissen“. Der Todesstoß zeichnete sich dann ab, als erste Schadensersatzklagen gegen die BSA aufgrund der Vertuschung von und Mitschuld an Fällen sexualisierter Gewalt gegen frühere Mitglieder mit hohen Strafzahlungen endeten. (Dieses Thema beschäftigt die BSA weiterhin und ist Anlass für die Einleitung ihres geregelten Insolvenzverfahrens).
All dies ist wohl der eigentliche Grund dafür, dass sich die BSA auf der Suche nach neuen Mitgliedern dafür entschied, den Girl Scouts Konkurrenz zu machen und künftig auch Mädchen aufzunehmen. Darüber waren die Girl Scouts, deren Organisation weder skandalgebeutelt ist noch insolvent, nicht begeistert. Für richtiggehende Verärgerung sorgte dann aber der Umstand, dass die BSA bei ihrer an Mädchen gerichteten Werbung die Existenz der hundert Jahre alten Girl Scouts schlicht unterschlug und so steile Werbeaussagen verwendete, dass nun erstmals auch amerikanischen Mädchen scouting möglich sei. Bereits ein Jahr später gehörten der BSA 77.000 Mädchen an. Mädchen, die, so darf man vermuten, ansonsten möglicherweise zumindest teilweise Mitglieder der Girl Scouts geworden wären. Neben unterschiedlichen Inhalten des Programms spielt ja auch Familienlogistik eine Rolle: Statt die Tochter zu dem Treffen der Girl Scouts fahren zu müssen und den Sohn woanders zu den Treffen der BSA hin, können beide zusammen, wenngleich in geschlechtergetrennten Gruppen, am Programm der Boy Scouts teilnehmen.
Die Verärgerung der Girl Scouts ist also nachvollziehbar und berechtigt. Es ist möglich, dass das angerufene Gericht ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass die Werbeaussage der Boy Scouts, dass Dank ihrer Öffnung für Mädchen nun „erstmals“ auch Mädchen die Pfadfinderei möglich ist, ein Verstoß gegen Wettbewerbsregeln oder die „Marke“ der Girl Scouts ist.
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