Die längste bündische Theke hat jetzt geschlossen

Letztes und 21. Sängerfest des Zugvogels in Ottenstein.

Letztes und 21. Sängerfest des Zugvogels in Ottenstein.

Langsam nehmen die Hügel ab und das Auto fährt in eine große Ebene hinein. Jetzt eigentlich nur noch geradeaus. Kleine Eichenwäldchen und viel Feld, von Bäumen umsäumt. Als der erste rotgeklinkerte Bauernhof vorbeizieht, weiß ich, daß es nun nicht mehr weit ist. Ich spüre jetzt schon eine große Trauer in mir. Trauer darüber, daß es wohl zum letzten Mal nach Ottenstein geht. Denn das Sängerfest des Zugvogels in Ottenstein schließt für immer seine Türen. Mit dem 21. Sängerfest, das wie stets am ersten Maiwochenende in einer Schützenhalle bei Ottenstein / Ahaus im Münsterland seinen Verlauf nimmt, endet die Geschichte. Ottenstein 1Der Parkplatz ist größer als er jemals war. Die große Anzahl Kothen, Jurten, aber auch bunte Zelte haben längst den eichenumstandenen Vorplatz der Schützenhalle gesprengt und breiten sich bis auf und hinter die Parkplatzwiese aus. Um die 1000 Gäste sind es auch dieses Jahr wieder. Strahlender, anhaltender Sonnenschein wird noch mehr angelockt haben. Zahlreiche Maikäfer umschwirren uns. Das absolute Lagerfeuerverbot aufgrund der ungewöhnlichen Dürre beschehrt den nicht Campingkocher-Besitzern Schwierigkeiten bei der Zubereitung von selbstproduzierten warmen Mahlzeiten. Schon am Freitagabend wird gefeiert, aber in Maßen. Schließlich gilt es, mit seinen Kräften für Samstag hauszuhalten. Und auftreten werden auch einige…

Der Singewettstreit beginnt mit einigen gemeinsamen Liedern und der Ansprache des Ottenstein 7Bundesführers des Zugvogel, Deutscher Fahrtenbund. Hellas bedankte sich für all die vergangenen Jahre, die logistische und organisatorische hohe Leistung der Mitwirkenden. Einen besonderer Applaus des Publikums galt dabei der Thekenmannschaft. Bei der Ansprache wurde klar: Der Zugvogel trennt sich nicht leichten Herzens von seinem „Baby“. Aber das Sängerfest war ursprünglich als eben solches gedacht: Als Fest der Sänger. Besonderes Augenmerk galt dabei immer der Förderung des Nachwuchses in den Bünden. Doch eben diese gesunden, pimpfenreichen Gruppen kamen immer seltener auf die Bühne, obwohl der jeweilige Bundesführer jedes Jahr aufs Neue dringend um eine Beteiligung dieser bat. Auch das Verhältnis der Sänger zu den Zuschauern wurde immer ungünstiger: in 2006 Ottenstein 12kamen auf 1000 Zuschauer gerade mal 130 Sänger. Das war nicht das, was der Zugvogel beabsichtigt hatte. Natürlich spülte der Ottenstein trotz humaner Bier-, Verzehr- und Eintrittspreise jede Menge Geld in die Kasse und leistete einen großen Beitrag für den Ausbau und Erhalt des Bundesheimes, dem Kochshof im Bergischen Land. Zuletzt konnten einige Wiesen um das Anwesen herum erworben werden, was den Erhalt der wunderschönen landschaftlichen Gegebenheiten für die Zukunft sichert. Aber darum ging es dem Zugvogel bei seinem Sängerfest nicht. Auch dieses Mal zeigte sich erneut der Negativtrend und bestätigten den Zugvogel in seiner Entscheidung: Von 18 Gruppen auf der Bühne (einige davon außer Konkurrenz) war nur eine Fahrtengruppe mit Jüngeren, aber selbst die waren schon etwas älter. Die Zuschauer reagierten teils mit Verständnis, teils mit Verärgerung über die endgültige Entscheidung des Zugvogels. Schätzen sie doch größtenteils, so muß man wohl sagen, das Sängerfest als eine Veranstaltung, bei der die Älterenschaft ohne Ottenstein 2„nervige“ Jüngere anreist, um mal so richtig die Puppen tanzen zu lassen.

Ärger hatte es in all den Jahren hingegen kaum gegeben. Die Besitzer der Halle, die Schützenbrüderschaft, lobte jedes Jahr erneut die extreme Sauberkeit der Halle nach der Veranstaltung, auch gab es Gegenbesuche der Schützen auf dem Kochshof. Und Polizei und Feuerwehr, die bei einer Veranstaltung dieser Größe stets informiert werden müssen, bekamen eigentlich nie etwas zu tun. Ein Umstand, der in den vergangen Jahren immer wieder mal Verwunderung bei den Beamten hervorgerufen hatte. Nachdem die Parkplatzprobleme einmal gelöst waren, gab es auch keine verärgerten Anlieger mehr. Es gibt also keine „äußeren“ zwinglichen Gründe zum Abbruch der Tradition. Dennoch werden in den kommenden ersten Wochenenden im Mai nicht mehr Lieder in der Halle erschallen, sondern die Schützen ihr Tanzbein schwingen.

Ottenstein 4Viele Lieder der vortragenden Gruppen waren auf diesen Umstand gemünzt. Gleich die erste Gruppe sagte mit einer Weiterdichtung von „Thank you for the Music“ von Abba Danke für all die schönen und nicht nur musikalisch fruchtbaren Jahre. Bei den gestandenen Frauen auf der Bühne, von denen einige tatsächlich bereits vor 21 Jahren mit dabei waren, befanden sich Mütter von nicht weniger als 13 Zugvogel-Kindern. Das war ebenfalls ein nicht zu vernachlässigender Aspekt des Sängerfestes, nämlich seine Nebenplazierung als größtes Partner-Kennenlerntreffen. Unzählige Ehepartner trafen sich dort zum ersten mal und verliebten sich ineinander. Auch die diesjährigen Gewinner, die Tschaikas, hatten die letzte Strophe ihres Liedes (eigentlich über das Teetrinken) auf den Ottenstein gemünzt. Nach der Siegerehrung sprangen alle zum letzten mal auf die Bühne und ließen es bis zum frühen Morgen so richtig krachen. Dabei erklangen im großen Kreis auch viele Lieder erneut, die soeben erst auf der Bühne vorgestellt worden waren. Der Sprung der Lieder von der Bühne ins Publikum gelang beim Ottenstein wohl öfter als anderswo. „Am Morgen danach“ viele übernächtigte Gesichter und Sonnenbrillenbenutzer. Von dem Verbrauch von Aspirin gar nicht zu reden.

Natürlich denkt der Zugvogel über eine Nachfolgeveranstaltung nach. Jedoch wollen sie für diesen sicherstellen, daß das Ziel, Pimpfengruppen anzusprechen und Schlachtenbummler zu vermeiden, sicher erreicht wird. Und die Würstchen sollen dann in Bio-Qualität sein. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

An die langen Feste denke sehnsuchtsvoll ich oft zurück.
Wodka trinken, tanzen, singen, diese Zeit kehrt nie zurück.

Vielen Dank an den Zugvogel für alles!

Platzierungen:

  1. Möwe von Devon, Tschaika (Tee und See, Gün olur)
  2. Zugvogel, Bergischer Orden (Panamerikana, La exiliada del sur)
  3. BdP, Stamm Kelten (Saluto, Schäumender Mai)
  4. Zugvogel, Kölscher Klüngel (Tschubschik, Nubbelverbrennung)
  5. BdP Berlin, Opis (Piratenlied von Jusch, Herzscheiße)
  6. Deutsche Freischar, Singekreis Virus H5N1 (Bonbon aus Wurst, Marzipan)
  7. Deutsche Freischar, Horte Donnergrummel (Wuppertal, Finnische Polka)
  8. Deutsche Freischar, Horte Drachenreiter (Freunde der Realität, Ich muss weg)
  9. DPSG, Singekreis Stamm Gerrich (Regentropfen, Wikinger)
  10. Piratenschaft Stormarn (Auf dein Wohl, Gut wieder hier zu sein)
  11. DPBM, Stamm Graf Luckner, Singekreis Inkognito (Kokore zav ande, So viele Jahre)
  12. VCP, Yakima (Der letzte Hit, I know my love)
  13. Wanderclub Nika (Tschaichana, O du Steppe, die weite)
  14. BdP Stamm Geisterburg, Männer mit Bärten (Margot, Es war ein König in Thule)

Jurymitglieder:

Kerstin, Wanja, Pinte, Armin, Hexe, Helm, Old Church

Über den Zugvogel:
zvwappenDer Zugvogel, Deutscher Fahrtenbund ist eine Wandervogelgemeinschaft von Jungen und Männern, die in der Tradition der Deutschen Jugendbewegung steht. Der Zugvogel bekennt sich zur absoluten Gewaltlosigkeit und ist weder parteipolitisch, religiös oder rassenmäßig, noch standesmäßig gebunden. Insbesondere setzt er sich ein für:

  • die Formung und Heranbildung charakterfester, junger Persönlichkeiten und das Wecken von Wahrhaftigkeit und Verantwortungsbewußtsein;
  • die Pflege des Gedankengutes der Deutschen Jugendbewegung, insbesondere ihres künstlerischen Gestaltens;
  • die Begegnung der Jugend mit anderen Nationen und Kulturkreisen;
  • die Bildung staatsbürgerlichen Bewußtseins und aufgeschlossenem Verhalten gegenüber sozialen und anderen Gegenwartsfragen.

Quelle: scouting 02-07