Auftakt-Pressekonferenz Aufarbeitung BdP

Von mehreren Organisationen der deutschen Pfadfinderbewegung ist bekannt, dass sie sich ihrer institutionellen Verantwortung und der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt stellen, so die DPSG, der VCP und der DPB. Am weitesten gediehen sind jedoch die entsprechenden Bemühungen des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder, BdP, der diesen Prozess bereits 2016 mit einem Beschluss seiner Bundesversammlung in Gang setzte und heute im Rahmen einer Auftakt-Pressekonferenz, bei der neben Pressevertretern vor Ort zudem über 60 weitere Personen per Videostream teilnahmen, sein Projekt Echolot sowie das durchführende sozialwissenschaftliche „Institut für Praxisforschung und Projektberatung“ (IPP) vorstellte.

Die Vorgänge rund um das Canisius-Kolleg und in der amerikanischen Pfadfinderorganisation (BSA) hätten sie für die Problemlage sensibilisiert, schilderten Vorstandsvertreterin Maria Venus und für den AK Echolot Benjamin Holm. Es gäbe Hinweise darauf, dass es in der Vergangenheit des BdP dazu gekommen sei, dass Tätern nicht konsequent der Zugang zu Gruppen verhindert worden wäre, dass möglicherweise der Schutz des Ansehens der Institution wichtiger gewesen wäre, als Betroffengerechtigkeit. Hier fühlten sie eine institutionelle Verantwortung. Symbolisch war auf dem Podium ein Platz freigehalten worden für die Betroffenen sexualisierter Gewalt im BdP. Holger Specht von inmedio, der zum Beirat von Echolot gehört, sprach mit großen Respekt von den Betroffenen. Diese bräuchten viel Mut und Stärke, um sich nach den negativen Erfahrungen der Vergangenheit, die sie innerhalb des BdP gemacht hätten, nun das Vertrauen zu finden, sich zu melden, damit es dem BdP gelänge, solche Ereignissen in Zukunft besser vorbeugen zu helfen. Sowohl IPP, wie auch der BdP sprachen ihre Hoffnung aus, dass sie diesen Mut fänden. Das IPP sichert absolute Verschwiegenheit zu und gewährleistet Anonymität. Es erklärte, dass es Wert auf die Unabhängigkeit vom Auftraggeber lege.

Die drei großen Fragekomplexe, die behandelt werden, sind die individuellen Erfahrungen, die Betroffene gemacht haben; die institutionellen Gegebenheiten im Bund, die solches ermöglichten; Ideologische Ideen und gesellschaftliche Einflüsse, die mit beigetragen haben. Daneben aber auch, ob es hartnäckige Loyalitäten zu Tätern gegeben habe (oder gibt), die auch nach Jahrzehnten noch wirksam seien; ob es Netzwerke und/oder Verknüpfungen zu Netzwerken außerhalb des BdP gegeben habe. Die derzeitige Erkenntnisdichte sei noch schwach. Eine Aussage über die Anzahl von Betroffenen sei nicht möglich. Zwar gäbe es Akten über Ausschlussverfahren, aber nicht alle würden sich auf Vorwürfe sexualisierter Gewalt beziehen. Absolut im Fokus stünden deshalb Gespräche mit den Betroffenen, aber auch Zeitzeugen.

Aus dem Podium wurde eine Frage nach Entschädigung gestellt. Hier verwies der Bundesschatzmeister des BdP auf das „erweiterte Hilfesystem“, dem Bereich der Institutionen habe sich der BdP angeschlossen. Dies beträfe Fälle bis 2003. Über ein neutrales Clearingverfahren sei es möglich, Unterstützung für Therapiekosten zu erhalten. Im Chat insistierte derweil ein Mitglied des BdP, dass insbesondere auch der Umgang mit Alkohol im Bund überdacht werden müsse. Das werde vor Ort jeweils sehr unterschiedlich gehandhabt. Die Sicherheit von Schutzbefohlenen dürfe hier nicht der freien Entscheidung unerfahrener Personen überlassen bleiben, es brauche einheitliche klare Vorgaben. Gleichfalls aus dem Chat kam die Frage, ob es auch sogenannte „Lieblingspimpfe“ im BdP gegeben habe. Die Antwort lautete, dass diese wohl nicht so genannt worden seien – gegeben habe es sie aber mit Sicherheit. Holger Specht erläuterte, dass als „Lieblingspimpfe“ (in einer Gruppe, die nicht zum BdP gehört), junge Menschen bezeichnet worden wären, die von ihren Gruppenführern bzw. Älteren bevorzugte Behandlung erfahren hätten, aber von denselben auch sexualisierte Gewalt erlitten hätten.

Kontakt

Wenn du deine Geschichte dem Institut mitteilen möchtest, wende dich an: aufruf@ipp-muenchen.de (Helga Dill, Peter Caspari).
Für den Zeitraum 9. September 2021 bis 7. Oktober 2021 wurde eine eigene Telefonnummer bei Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. eingerichtet:
030-549875-51 (Bernard Könnecke). Telefonische Sprechzeiten sind dienstags zwischen 11 und 13 Uhr und donnerstags zwischen 15 und 17 Uhr.
Externe Hilfe und Beratung findest du hier: www.nina-info.de

Kommentar

Anders als andere Instutionen, die erst nach erheblichen öffentlichem Druck überhaupt auch nur ansatzweise bereit waren, Aufarbeitung zu ermöglichen, hat der BdP ganz von sich selbst heraus und ohne dass es einen vorherigen bundesweiten Skandal gegeben hätte, die Notwendigkeit zur Aufarbeitung erkannt und die dafür notwendigen Schritte unternommen. Dies nötigt, zumal es sich bei ihm um eine überwiegend ehrenamtlich getragene Organisation handelt, hohen Respekt ab. Er wird seine Aufarbeitung öffentlich und transparent erfolgen lassen und hat zudem weitere Bünde mit in seinen Beirat berufen, denen hierdurch ermöglicht wird, Erfahrungen in der Umsetzung eines solchen Aufarbeitungsprozesses zu sammeln und daüber im Austausch zu bleiben. Zudem mag es sein, dass sich Betroffene anderer Bünde sozusagen versehentlich beim BdP melden (denn wer blickt schon bei den über 185 verschiedenen Organisationen durch). Er hat einen überzeugenden Aufschlag getan. Glaubwürdig. Es ist ihm ein gutes Gelingen zu wünschen.