Contura 08 – Erstes Bundeslager der Schweizer Pfadi seit 14 Jahren

Das Lager war für die Pfadis ein voller Erfolg

Über drei Jahre hatten die Vorbereitungen angedauert. Ein Großlager mit über 22000 Teilnehmern in insgesamt 8 Unterlagern auf 120 ha Land bedeutete eine Meisterleistung an Organisation. Vom 21. Juli – 2. August war es dann endlich so weit: Das erste Bundeslager seit vierzehn Jahren der Pfadibewegung Schweiz (PBS) konnte seinen erfolgreichen Verlauf nehmen. Erstmals waren beim Bundeslager auch die jüngsten Pfadis (Bienli und Wölfe ab 8 Jahren) mit dabei und auch Teilnehmer der PTA (Pfadi Trotz Allem, d.h. mit Behinderung). „Das Lager war eine Bereicherung für unser Dorf“, äußerte sich der Gemeindepräsident von Benken im Anschluß. Und die Polizei schloß sich dem Lob an, die Zusammenarbeit sei höchst erfreulich gewesen. Ein voller Erfolg, so urteilte auch die Lagerleitung, das Wetter war insgesamt gut und man sei von schweren Unfällen und anderen unerfreulichen Ereignissen verschont geblieben.

Ihre Zelte errichteten die Pfadi (so der offizielle landessprachliche Ausdruck für die Pfadfinder) in der Linthebene zwischen Walen- und Obersee (Zürichsee). Von den acht Unterlagern befanden sich vier Standorte im Kanton St. Gallen, drei Standorte im Kanton Schwyz und einer im Kanton Glarus. Neben Pfadis aus der Schweiz waren auch 500 ausländische Gäste eingeladen, um einen Austausch über die Grenzen hinweg zu ermöglichen. Die Teilnahme von Pfadis aus den Partnerländern Rumänien und Burkina Faso unterstützte die Organisation von Contura 08 über einen Solidaritätsbeitrag. Für die Pfadis aus diesen Ländern wäre eine Teilnahme sonst kaum möglich gewesen.

Das Motto des Bundeslagers „Contura“ bedeutet auf romanisch Umriss und setzt sich gleichzeitig aus den Wörtern „CONnexion“ (französisch Verbindung), „Ursprung“ und „Avvenire“ (italienisch Zukunft) zusammen. Das Motto des ersten Bundeslagers im neuen Jahrhundert sollte die Verbindung zwischen allen Sprachregionen der Schweiz werden und den Ursprung mit der Zukunft der Pfadibewegung Schweiz verbinden.

Bereits bei der Planung orientierte sich die Lagerleitung an einem Umweltkonzept, welches auch Maßnahmen zur Umweltbildung beinhaltete. Um durch die Pfadi eine möglichst geringe  Mehrbelastung der Umwelt zu verursachen, wurde in Zusammenarbeit mit dem WWF und verschiedener lokaler Umweltorganisationen vorab ein Maßnahmenprogramm erarbeitet, um das Contura 08 ressourcen- und energieschonend durchzuführen, so erfolgte bereits die Anreise der Pfadi mit der Bahn, dem Rad oder zu Fuß. Während des Lagers wurden zudem vielseitige Workshops und Ausflüge zu Umweltthemen angeboten, wobei den Teilnehmenden gleichzeitig auch die Lagerregion näher gebracht wurde. Hierzu gehörten nachhaltige Workshops zu den Umweltthemen durch das eingesetzte Umweltteam und die Partnerorganisationen, ein Recycling-Wettbewerb, freiwillige Selbstverpflichtungen der Teilnehmer zum Umweltschutz  sowie zum Ausgleich des unvermeidlichem Co2-Ausstoßes während des Lagers die Unterstützung von Aufforstungen in Burkina Faso.

An Material wurden insgesamt 66000 Zelttücher (Blachen genannt), 16000 Wolldecken, 20000 Bindestricke und Seile, 1700 Tonnen sonstiges Armeematerial (Werkzeug, Küchenmaterial, Zelte, Fahrzeuge, Sanitätsmaterial), 600 Tonnen Bauholz aus der Ostschweiz, 1000 Ster Brennholz aus der Ostschweiz, 500 Toilettenkabinen und 2500 Paletten Material der Einheiten bereitgestellt. Das Gesamtbudget für Contura 08 betrug rund 10 Millionen Franken, das entspricht etwas über sechs Millionen Euro, wovon die Teilnehmer 65% trugen, über Sponsoren 18% hereingeholt wurden und 17% aus Verkaufserlösen stammten. Die SBB setzte für die Pfadis 60 Extrazüge ein und sah sich zudem mit Hunderten von Fahrrädern konfrontiert. Postauto als Transportpartner hatte für die Pfadfinder täglich vier bis fünf Postautos im Einsatz und legte fürs Bula insgesamt 8000 Kilometer zurück. Versorgt wurden die Kinder und Jugendlichen hauptsächlich vom Hauptsponsor Coop, der auf Erfahrungen vom letzten Bundeslager in 1994 zurückgreifen konnte. Täglich wurden fünf bis sechs Lastwagen mit Backwaren ins Lager gefahren, hinzu kamen zwei Anhängerzüge und rund fünf Lastwagen pro Tag mit restlichen Lebensmitteln. 86000 Kilo Brot und 21600 Kilo Kartoffeln verschlangen die Kinder, und sie haben ausgerechnet, daß 3714 Kühe während zweier Wochen täglich im Einsatz stehen mußten, um die benötigte Menge Milch zu produzieren. Die Post hatte für das Bundeslager zwei zusätzliche Postboten eingesetzt. Diese brachten pro Tag durchschnittlich 744 Pakete (insgesamt 6700) und 540 Briefe (insgesamt knapp 6000) sowie täglich 100 bis 150 Expresssendungen ins Lager. Die Pfadis selbst verschickten während des Lagers knapp 20000 Briefe und Postkarten sowie 35 Pakete.

Einen nur etwas regeren Betrieb als in einem gewöhnlichen Sommer erlebte hingegen das Spital Linth in Uznach, denn die Pfadi verfügten im Lager über eigene Sanitätsgruppen mit ausgebildeten Ärzten sowie ein Careteam für die Betreuung der Kinder. Glücklicherweise blieb das Lager von schweren Unfällen verschont. Nur am ersten Tag hatte es einen Brand durch Gasverpuffung mit drei Verletzten gegeben, die am schwersten betroffene Leiterin mit Verbrennungen zweiten Grades konnte das Spital aber noch vor Abschluß des Lagers wieder verlassen. Gelobt wurde die Lagerorganisation auch in Hinblick auf den Schutz vor Zecken. Da das Lager in einem Zeckenrisikogebiet lag, hatten die Verantwortlichen die Eltern schon ein Jahr vorab über die empfehlenswerte Impfung gegen Hirnhautentzündung informiert. Ein Vorgehen, bei dem sich das in dieser Hinsicht in der jüngsten Vergangenheit gescholtene Schweizer Militär aus Sicht eines Experten „eine Scheibe abschneiden könne“. Doch auch in anderer Hinsicht setzten die Verantwortlichen auf Vorsorge. Ein „Sauwohl-Mobil“ zog durch die Unterlager und veranstaltete Diskussionsrunden über Verhütung und Geschlechtskrankheiten. Insgesamt wurden tausend Kondome verteilt, mehr hatte die Aids-Hilfe Bern nicht mehr liefern können. Die Lagerleitung äußerte sich dazu offen, es sei naheliegend, daß sich die Lagerteilnehmer „auf relativ engem Raum“ näherkommen. Für Liebeskummer und andere Probleme hatten die Verantwortlichen des Bundeslagers zudem extra ein Hilfe- und Sorgentelefon eingerichtet.

Auch die Polizei zog positive Bilanz. Sie hatte die Patrouillentätigkeit etwas verstärkt, aber nur ganz vereinzelt Lärmklagen entgegennehmen müssen. In einigen Lagern sei es zu Sachbeschädigungen durch Täter aus der Umgebung gekommen. Die Pfadi selbst verfügten zusätzlich über eigene Securitygruppen, die in jedem Unterlager rund um die Uhr erreichbar waren. „Die Zusammenarbeit mit den Pfadfindern war höchst erfreulich“, sagt Hans Eggenberger, Sprecher der Kantonspolizei St.Gallen. Aber auch  die Glarner Tourismus-Unternehmen zeigten sich nach der Pfadi-Invasion rundum sehr zufrieden mit den Gästen. „Mustergültig“ sei die Organisation gewesen. An Programm außerhalb der Unterlager standen Baden im Oberblegisee, Trottinettfahren in Elm oder Rodeln in Filzbach auf dem Programm.

Gegenseitigen Austausch über Lagergrenzen hinweg ermöglichte die mit 9 Redakteuren und 21 Reportern rund um die Uhr erstellte dreisprachige Lagerzeitung sowie der lagereigene viersprachige Radiosender, dessen Beiträge zusätzlich per Podcast für Daheimgebliebene downloadbar war.

Die acht Unterlager hatten sich verschiedene Motti gewählt und boten ihren jeweils etwa 2000 „Einwohnern“ eine Vielzahl an Programmmöglichkeiten. Darunter (PTA-)Postenläufe, Floßbau, Bootstouren, Spielturniere, einen Waldtag, einen Konzertabend, Olympiaden, ein Bastelatelier, eine Vorführung von Pfadi-Kurzfilmen und verschiedene Wettkämpfe. Besondere Höhepunkte des Lagers waren außerdem der VIP-Tag mit 200 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Kultur sowie von ehemaligen Pfadfindern und Pfadfinderinnen und dem Besuch von Bundesrat Hans-Rudolf Merz und der Besuchstag der Eltern. Zum Abschluß des Bula in der Nacht vom 1. auf den 2. August herrschte Partystimmung: Auf dem Festgelände eines Bettenherstellers in Schänis SG im Unterlager Big Bang feierten Hunderte Pfadileiterinnen und -leiter bis zum Morgengrauen. Zu Gast war auch Bundespräsident Pascal Couchepin, selbst ehemaliger Pfadi. In seiner Rede bei strömendem Regen und vor 2000 Pfadi lobte Couchepin das solidarische Zusammenleben, das positive Denken und die geistige Offenheit der Pfadi.

Die einzelnen Unterlager

Unterlager 360°, Benken (SG)
Hier wurden die fünf größten Erfindungen der Menschheit rund um den Globus und quer durch die Zeit prämiert. Neben einer 300m langen Hängemattenreihe, zahlreichen Lagerbauten zu den fünf größten Erfindungen, einem internationalem Kochwettbewerb, fünf riesigen Stühlen für alle, einer persönlichen Begegnung mit den 5 größten Erfinderinnen und Erfindern bot dieses Unterlager eine eigene Wasserfläche mit speziellem Programm sowie einen zwei Stufen einbindenden PTA-Spielnachmittag.

Unterlager Fantasia, Schänis Nord (SG)
In der Welt, in der alles möglich war, traten zur Rettung Fantasias 200 Fähnli in 40 Disziplinen miteinander an, es gab einen Postenlauf zu spirituellen Sinnfragen, einen Spaßpark, einen Klettergarten und die Möglichkeit zum Floßbau und –fahren.

Unterlager Hot Spot, Tuggen Nord (SZ)
Im Lager der Energien führte eine Golfbahn durchs ganze Unterlager, außerdem gab es einen „Equipewettbewerb“ mit dem Basteln einer Kugelbahn, Musik, Konzerte, Filmpräsentation auf der Hauptbühne mit anschließendem Tanz sowie einen originell-sportlichen Wettkampf.

Unterlager Tour du monde, Kaltbrunn (SG)
In grenzenloser Vielfalt fanden sich hier verschiedene Kulturen, längst vergessene Lebensweisen und beeindruckende Traditionen. Bei einem großen Basar präsentierten sich die unterschiedlichen Einheiten und lernten sich gegenseitig kennen, in Workshops gab es die Möglichkeit zu asiatischem Kampfsport, afrikanischem Trommeln, bolivianischen und israelischen Volkstänzen. Die Materialtransporte erfolgten mit Pferdewagen; der Strom wurde mit Fotovoltaikanlagen erzeugt. Das Lagerzentrum wartete mit vielfältigen Angeboten inklusive Aussichtsplattform auf, außerdem gab es eine Wasserrutschbahn auf dem Lagerplatz, ein großes Piratenschiff und ein Wikinger-Drachenboot, den Aufbau eines Riesenzeltes aus Blanchen und ein Musikzentrum in der dritten Stufenzone.

Unterlager Terra Nova, Schübelbach (SZ)
Entdecken und erfinden stand hier im Mittelpunkt. Unter dem Wahrzeichen des Leuchtturmes führte eine echte Eisenbahn durchs Unterlager.

Unterlager Sayaris, Schänis (SG)
Im intergalaktisches Treffen der verschiedenen Kulturen führte eine Milchstraße durch das ganze Unterlager. Im Planetarium war der Himmel voller Sterne, Planeten und Raketen aller Teilnehmenden. Der dritten Stufe wurde eine Lounge und ein Seilpark geboten, die erste Stufe und die PTA absolvierten eine Olympiade.

Unterlager Contura Vitae!, Bilten (GL)
Ein Regenbogen der Fantasie entführte hier die Pfadis in längst vergangene Zeiten und entsendete sie in die Zukunft! Die PTA erlebten einen Nachmittag im Mittelalter, die dritte Stufe absolvierte eine Nachtwanderung mit Fahrradtour und Biwak, die zweite Stufe nahm an einer Lagerolympiade teil, außerdem wurden Dokumentarfilme und eine Diashow geboten.

Unterlager BigBang, Tuggen Süd (SZ)
Auch hier dienten Planeten als Symbol für die unterschiedlichen teilnehmenden Einheiten. „Dort, wo alles begann“, fanden unter dem über dem Lager schwebenden Sonnen-Luftballon  eine Olympiade und ein Umweltwettbewerb statt, außerdem wurde gemeinsam ein riesiges Labyrinth errichtet.

Die PBS ist der Schweizer Dachverband der Pfadis und mit rund 45000 Mitgliedern die größte nationale Jugendorganisation. Die Mitglieder sind in 22 Kantonalverbände und in mehr als 700 lokale Abteilungen/Gruppen organisiert. Rund 8000 Jugendliche und Erwachsene engagieren sich ehrenamtlich für die Pfadi. Die Stufen unterteilen sich in Stufe 0 (diese wird gerade neu eingeführt), Stufe 1 (Bienli und Wölfe, Kinder von 8 bis 11 Jahren), Stufe 2 (Pfadi, Kinder und Jugendliche von 12 bis 15 Jahren), Stufe 3 (Pioniers, Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren) und Stufe 4 (Rover, ab 18 Jahren). Mit dem Projekt Bénévole, einem Leistungsausweis für ehrenamtliche Jugendarbeit, bietet die Pfadibewegung Schweiz ihren Leitern ein offizielles Zertifikat für ihre ehrenamtliche Arbeit, in dem ihre jeweiligen Fähigkeiten und Eigenschaften in den Bereichen Führung, Projektmanagement und Ausbildung aufgezeigt werden. Zudem engagiert sich die PBS derzeit in einem Integrationsprojekt für ausländische Kinder und Jugendliche, denn in einer Erhebung zur Mitgliederstruktur zeigte sich, daß der Anteil der Kinder und Jugendlichen von ausländischen Eltern in der Pfadibewegung im Vergleich zum schweizerischen Mittel klein ist. Das Projekt soll dafür Sorge tragen, daß die Pfadibewegung Schweiz in Zukunft allen Kindern und Jugendlichen nicht nur offensteht, sondern auch aktiv auf die bis jetzt untervertretenen kulturellen Gruppen zugegangen wird und die Pfadi zur Thematik der Integration und des Zusammenlebens sensibilisiert werden.

Quelle: scouting 03-08


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